Eine besondere und anschauliche Stunde Geschichtsunterricht schenkte Schülern des Leibniz-Gymnasiums Dr. Leon Weintraub, Zeitzeuge aus der Zeit des 2. Weltkriegs.

Leon Weintraub wurde 1926 in Lodz in Polen als fünftes Kind einer jüdischen Familie geboren. Sein Vater starb früh und so musste seine Mutter die Geschwister unter schwierigen Verhältnissen allein aufziehen. Zuerst besuchte er eine jüdische Schule, wechselte aber nach einem Umzug auf eine „normale” Grundschule, wo er schon früh seine Passion für Literatur und Film entdeckte. Für den jungen Leon Weintraub bedeuteten diese Erweiterung des Horizonts und Schaffung von Assoziationen. Mit 13 erlebte er 1939 den Einmarsch der deutschen Wehrmacht, der ihm bis heute in Erinnerung blieb: „Das Geräusch mehrerer hundert Stiefelpaare auf dem Kopfsteinpflaster erschien mir wie eine unaufhaltsame Walze. Es war angsteinflößend.” Eine Reihe von Verordnungen wurden erlassen und der Bau eines Ghettos für die Juden initiiert. 1940 siedelte die Familie wie auch Tausende andere jüdische Einwohner aus der näheren Umgebung in das Ghetto. Leon Weintraub fing an, in einer Fabrik in der Galvanisation zu arbeiten. Dort lernte er auch einen der wichtigsten Grundsätze der Häftlinge kennen: „Wer arbeitet und für das Deutsche Reich produziert, kann ein Stück länger leben.”

Nach der Niederlage der Wehrmacht in der Schlacht von Stalingrad 1943 begannen im Ghetto Litzmannstadt die Liquidierungen und Deportationen in die Konzentrationslager. Trotz Verstecken wurde die Familie Weintraub gefunden, im Güterzug in das KZ Auschwitz-Birkenau gebracht und voneinander getrennt. Die Häftlinge mussten harte Arbeit leisten, hatten kaum Pausen oder Essen und wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammengepfercht. So verfiel Leon Weintraub in eine kalte Gefühlsstarre, welche weder Emotionen noch bewusste Gedanken zuließ, Befehle wurden ohne nachzudenken ausgeführt. Ab 1944 erlebte Leon Weintraub um sich herum die systematische Vernichtung der Juden, die Schlote der Krematorien rauchten Tag und Nacht. Durch Zufall konnte sich Leon Weintraub unbeobachtet einem Gefangenentransport anschließen und entkam auf diesem Wege Auschwitz.

Im KZ Groß-Rosen in Niederschlesien arbeitete er als Spezialist für elektrische Arbeiten und verlegte Stromkabel auf Masten. Bald darauf folgte eine weitere Verlegung in das Lager Flossenbürg, doch durch das stetige Näherrücken der Alliierten waren die SS-Mannschaften gezwungen, die Häftlinge noch weiter ins Landesinnere zu transportieren. In der Nähe des Schwarzwalds wurde der Zug jedoch von Fliegern angegriffen und die Gefangenen mussten zu Fuß fliehen. Schließlich wurden sie auf dem Weg von der französischen Armee befreit, Leon Weintraub war wieder ein völlig freier Mensch, doch das mentale Gleichgewicht wiederzuerlangen war für ihn schwer und dauerte lange.

Durch Zufall erfuhr er vom Überleben drei seiner älteren Schwestern im KZ Bergen-Belsen und bald darauf war der kleine, überlebende Teil der Familie wieder vereint. Leon Weintraub wurde später Frauenarzt und Geburtshelfer; er lebt heute als 86-Jähriger mit seiner Frau in Schweden. Sein Aufruf an die Schüler des Leibniz-Gymnasiums: „Seid nützlich, seid hoffnungsvoll und lebt ein gutes Leben.”

Bild: Dr. Weintraub während des Vortrags im Leibniz-Gymnasium ,

Foto: Christof Böhm